Schnelles Internet ermöglicht Spitzentechnologie in Nordhessen

von Benjamin Jungbluth

Schnelles Internet ermöglicht Spitzentechnologie in Nordhessen

von | 9. Sep 2022 | Allgemein, Leben, Wirtschaft, Wissenschaft

Aerosol-Experte Dr. Gerhard Scheuch setzt auf Unternehmertum in seiner Heimat

Mitten im Landkreis Waldeck-Frankenberg leitet Dr. Gerhard Scheuch seit mehr als 20 Jahren erfolgreiche Pharmatech-Firmen. Er ist von den Vorzügen des ländlichen Raums überzeugt – auch dank des Glasfaseranschlusses in seinem Gewerbegebiet.  

Ohne schnelles Internet, da ist sich Dr. Gerhard Scheuch sicher, wäre das damals nichts geworden mit dem Umzug seiner ersten Pharmatech-Firma vom Münchner Vorort Gauting in den nordhessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg. Doch weil die kleine Gemeinde Gemünden an der Wohra bereits 1999 über einen zeitgemäßen Anschluss an das World Wide Web verfügte, ergriff der Aerosol-Experte die Chance und verlegte den Sitz seines jungen Unternehmens in seine alte Heimat. „Mich haben damals viele Kollegen und Konkurrenten verwundert angeschaut, aber ich hatte das Potenzial dieser Region erkannt: In Nordhessen kam ich als Unternehmensgründer an bezahlbare Grundstücke und Firmengebäude, konnte dank der nahen Universitätsstadt Marburg auf einen großen Pool an hochqualifizierten und loyalen Mitarbeitern zugreifen, hatte eine wunderschöne Natur um mich herum – und war bei Bedarf in einer Stunde am Frankfurter Flughafen, dem größten internationalen Drehkreuz in Deutschland. Dank des schnellen Internets war ich mit der Welt ohnehin jederzeit optimal vernetzt. Ich hatte hier also bessere Bedingungen als in München“, erzählt Dr. Gerhard Scheuch.

Dr. Gerhard Scheuch

Mitten im Landkreis Waldeck-Frankenberg leitet Dr. Gerhard Scheuch seit über 20 Jahren erfolgreiche Pharmatech-Firmen. Er ist von den Vorzügen des ländlichen Raums überzeugt. (Foto: Benjamin Jungbluth)

Als Aerosol-Forscher wurde der heute 66-Jährige während der Corona-Pandemie auch einem breiteren Publikum bekannt: Als Berater für das Robert-Koch-Institut und die Bundesregierung, aber auch als nahbarer Experte, der bei Markus Lanz und in anderen Talksendungen eine verunsicherte Nation über die tatsächlichen Verbreitungswege des neuartigen Virus‘ aufklärte – mit ruhigem Optimismus und hoher fachlicher Expertise. „Zu Beginn der Pandemie hatten führende Experten noch angenommen, dass das Corona-Virus über das Händeschütteln oder den Kontakt mit Oberflächen übertragen werde. Doch für uns Aerosol-Forscher war schnell klar, dass die Verbreitung über kleinste Teilchen in der Luft stattfinden muss. So kamen wir zu den Einschätzungen, dass der Aufenthalt in engen und schlecht belüfteten Innenräumen gefährlich sein kann, nicht aber der Aufenthalt draußen an der frischen Luft“, fasst Dr. Gerhard Scheuch seine damals neuartigen Erkenntnisse zusammen. „Das hat viele Menschen überrascht – aber letztlich sind diese Auswirkungen von Aerosolen gar nicht weiter verwunderlich: Dazu habe ich schließlich mein ganzes Leben geforscht.“

1980 begann Dr. Gerhard Scheuch seine wissenschaftliche Karriere am damaligen Deutschen Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt in Frankfurt, später arbeitete er am Helmholtz Zentrum München. 1996 war er als Gastprofessor an der University of North Carolina und bei der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA tätig. Neben weiteren hochrangigen Positionen war Dr. Gerhard Scheuch schließlich von 2009 bis 2011 Präsident der Internationalen Gesellschaft für Aerosole in der Medizin und bis 2018 Berater der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA. Doch neben diesen auf Grundlagenforschung basierenden Tätigkeiten war es für ihn immer wichtig, die universitären Forschungsergebnisse auf reale Einsatzmöglichkeiten und ihre Nutzung durch Unternehmen auszurichten.

„Innovationen müssen doch etwas bewirken und einen konkreten Nutzen für die Gesellschaft haben – sonst sitzen wir Wissenschaftler tatsächlich nur in unserem sprichwörtlichen Elfenbeinturm. Hinzu kommen die ganzen bürokratischen Hürden und Notwendigkeiten, die man als Forscher neben seiner eigentlichen Arbeit absolvieren muss. Für mich war also schnell klar, dass ich eher ein Unternehmer bin. Und diesen Teil meiner Arbeit konnte ich mit meinen eigenen Firmen hier in Nordhessen optimal umsetzen“, sagt Dr. Gerhard Scheuch.

Foto: Benjamin Jungbluth

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Foto: Benjamin Jungbluth

Seinen Gründergeist stärkte er während seines Gastaufenthalts in den USA. Dort lernte er eine andere Art von Wissenschaft kennen: Orientiert an praktischen Ergebnissen und in engem Austausch mit der Wirtschaft. „Mit meiner wissenschaftlichen Expertise konnte ich schnell neue Anwendungsfelder finden, bei denen ich als Schnittstelle zwischen der Aerosolforschung und der Pharmabranche fungieren konnte. Das gab es damals in den USA noch kaum – und in Deutschland noch überhaupt nicht“, erzählt Dr. Gerhard Scheuch. Seine Idee: Neuartige Inhalationsgeräte, über die Patienten mit schwerem Asthma oder Mukoviszidose deutlich effizienter Medikamente einnehmen konnten als mit den damals marktüblichen Modellen.

„Also legte ich wild entschlossen los – und musste erst einmal lernen, wie man einen Business-Plan schreibt“, erzählt Dr. Gerhard Scheuch schmunzelnd. Doch auf diese Weise kam der Wissenschaftler schnell zu einem unternehmerischen Denken: Besteht überhaupt eine Nachfrage nach meinen Innovationen? Wie kann ich konkrete Produkte aus meinen theoretischen Ideen erschaffen? Und wie sieht es mit der Finanzierung, der Unternehmensgründung und dem Wettbewerb aus? Diese Fragen musste sich Dr. Gerhard Scheuch stellen, als er 1998 seine Firma Inamed GmbH vor den Toren von München gründete.

Ein Jahr später folgte der Umzug nach Gemünden an der Wohra: Eine idyllische Gemeinde mit nur etwa 4.000 Einwohnern und einem schönen historischen Ortszentrum samt viel Fachwerk. „Ich bin in diesem Ort aufgewachsen. Bei einem Heimatbesuch traf ich dann zufällig den Bürgermeister, der gerade ein neues kleines Gewerbegebiet am Ortseingang plante: Zwischen Bauernhöfen und Wiesen sollten Firmen angesiedelt werden. Bislang hatte sich aber noch kein Interessent gefunden. Mit dem Umzug meiner Firma hat sich das dann schnell gewandelt: Heute ist das Gewerbegebiet voll belegt. Manchmal braucht es eben einen Pionier, der solche Entwicklungen anstößt und auch mal wagemutig vorangeht“, sagt Dr. Gerhard Scheuch.

Dr. Gerhard Scheuch vor seiner Firma in Nordhessen.

Dr. Gerhard Scheuch vor seiner Firma GS-Bio Inhalation in Nordhessen. (Foto: Benjamin Jungbluth)

Da der von ihm entwickelte Prototyp für ein neuartiges Inhalationsgerät beim Pharma-Riesen Bayer auf großes Interesse stieß, musste der frisch gebackene Unternehmensgründer sogleich expandieren: Eine Halle für den Bau und Versand der Geräte kam hinzu, und der neue Firmensitz wurde mithilfe eines benachbarten Holzbaubetriebs exakt an die Bedürfnisse des Pharmatech-Unternehmens angepasst. „Die Wege auf dem Land sind eben oft kürzer und die Firmen kennen sich untereinander – als Unternehmer ist das Gold wert“, erklärt Dr. Gerhard Scheuch. „Zu Beginn war bei uns außerdem vieles noch etwas improvisiert: Die ersten Einstellungsgespräche habe ich im Wohnzimmer meiner Mutter auf dem Sofa geführt. Das hatte natürlich seinen ganz eigenen Charme“, erinnert er sich schmunzelnd an die Anfangszeit.

Entscheidend war für den Unternehmensgründer aber bereits damals das schnelle Internet: Sein neuer Firmensitz in Gemünden an der Wohra war bereits zur Jahrtausendwende deutlich besser angeschlossen als sein vorheriger Standort nahe München. Und auch wenn zu dieser Zeit selbst in der Geschäftswelt an regelmäßige Videokonferenzen und per Internet gesteuerte Produktionsabläufe noch nicht zu denken war: Ein Breitbandanschluss war schon damals für Standortentscheidungen bedeutsam. „Heute geht ohne schnelles Internet gar nichts mehr. Deshalb ist es so wichtig, dass gerade die ländlichen Regionen immer besser angeschlossen werden. Auf diese Weise können dort viele Arbeitsplätze erhalten und sogar neue geschaffen werden – denn dann kann der ländliche Raum seine vielen weiteren Vorteile voll ausspielen“, betont Dr. Gerhard Scheuch.

Hessens Digitalministerin Prof. Dr. Kristina Sinemus.

„Glasfaser ist die einzige Technologie, die den steigenden Bandbreitenbedarf auch mittel- bis langfristig abdecken und Hessens wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft sichern wird. Daher ist es richtig, dass sich gerade ländliche Landkreise diesem Mammutprojekt stellen, flächendeckend Haushalte und Gewerbebetriebe an das superschnelle Netz anzubinden. Wir als Land Hessen unterstützen dieses unermüdliche Engagement sehr gerne.“

Prof. Dr. Kristina Sinemus
Hessische Digitalministerin

Seinen Unternehmenssitz im nordhessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg konnte der Aerosol-Forscher und Unternehmer in den kommenden Jahren auch für seine folgenden Firmen nutzen, nachdem er seine erfolgreichen Produkte und Konzepte an große Unternehmen abgetreten hatte. „Ich wollte immer wieder etwas Neues ausprobieren. Mich einfach nur mit dem Gewinn zur Ruhe zu setzen, wäre für mich nichts gewesen“, sagt der 66-Jährige.

Und auch ein schwerer Unfall vor einigen Jahren, durch den er seitdem auf den Rollstuhl angewiesen ist, hat die Lebenspläne des ehemaligen Marathonläufers nicht durchkreuzen können. „In der ersten Nacht nach meinem Sturz vom Kirschbaum lag ich wach im Krankenhaus und habe eine Liste begonnen: Ich habe alle Dinge aufgeschrieben, die ich trotz des Unfalls auch in Zukunft noch tun kann. Im meinem geliebten Männerchor mitsingen, Gitarre spielen, in meinem Fachgebiet weiterforschen, Unternehmen leiten – und vor allem mein Wissen an Jüngere weitergeben. Am Ende war die Liste wirklich sehr lang und ich hatte meine Zuversicht wieder“, schildert Dr. Gerhard Scheuch die durchaus schwere Zeit.

Diese innere Stärke treibt den Aerosol-Forscher und Unternehmer weiter an. Inzwischen ist er mit seiner Firma GS-Bio Inhalation als Berater im Bereich Medikamentenentwicklung, Aerosolmedizin und Inhalationsprodukte tätig – und unterstützt als Business Angel junge Gründer auf ihrem Weg zum eigenen Unternehmen. Ein halbes Dutzend Start-ups aus den Bereichen Medizintechnik und Pharmazie arbeitet dabei mit ihm zusammen, so dass er seine vielen Erfahrungen weitergeben kann. „Mir ist es wichtig, bei jungen Wissenschaftlern das unternehmerische Denken zu fördern. Gleichzeitig muss die Politik die Grundlagen für ein solides Unternehmertum in unserem Land legen. Deshalb bin ich seit seiner Gründung 2014 im Unternehmensbeirat der Hessen Trade & Invest GmbH aktiv, die als Wirtschaftsförderer des Landes Hessen genau diese wichtige Arbeit macht. Und auch in der Landespolitik sind diese Themen inzwischen ganz oben angekommen: Mit dem Hessischen Ministerium für Digitale Strategie und Entwicklung gibt es einen zentralen Koordinator für den weiteren Ausbau des schnellen Internets in ländlichen Regionen – das ist exakt der entscheidende Ansatz, der mir damals den Beginn meiner unternehmerischen Karriere ermöglicht hat“, sagt Dr. Gerhard Scheuch.

Breitbandausbau in Hessens ländlichen Regionen

Das Land Hessen hat sich 2018 mit der Gigabitstrategie für Hessen das Ziel gesetzt, bis 2030 flächendeckend Glasfaseranschlüsse zu haben. Dafür steht so viel Geld wie noch nie zuvor zur Verfügung. Allein für den Glasfaserausbau in den drei Landkreisen Fulda, Marburg-Biedenkopf und Main-Kinzig stellt das Land Hessen über 180 Millionen Euro zur Verfügung, ergänzt um weitere Millionen-Förderungen aus Berlin durch das Bundesprogramm für sogenannte „Graue Flecken“.

Weitere Informationen gibt es hier.

Mehrere Glasfaser-Kabel in einer ländlichen Region. Foto: Adobe Stock

Breitbandbüro Hessen

Das Breitbandbüro Hessen, angesiedelt bei der Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft des Landes, der Hessen Trade & Invest GmbH, betreut im Auftrag der Hessischen Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung den Ausbau der digitalen Infrastruktur in Hessen auf operativer Ebene.

Als zentraler Ansprechpartner für die operative Begleitung beim Ausbau von Festnetz, Mobilfunk und  öffentlichen WLAN steht das Breitbandbüro Hessen den Kommunen zur Seite – mit dem Ziel, die infrastrukturelle Grundlage für die Digitalisierung Hessens zu schaffen.