Leere Parkplätze vor einer blauen Wand
© iStock Getty Images
20.10.2021 | Leben
von Thorsten Schulte
Ein Portrait von Thorsten Schulte.

Die Freiheit, das Auto nicht zu nutzen

Was kann dazu beitragen, dass die Gesellschaft ihr Mobilitätsverhalten dauerhaft ändert?

Das Automobil ist mehr als ein Fortbewegungsmittel. Es eigenständig und flexibel jederzeit bewegen zu dürfen, galt über Jahrzehnte geradezu als Symbol für Freiheit. Sogar Einschränkungen wie Staus, Ampeln, Geschwindigkeitsbeschränkungen und teure Parkplätze werden toleriert, solange man nur mit eigenen Händen ein Lenkrad fassen kann und die belebende Kraft der Beschleunigung spürt. Das eigene Auto war und ist faszinierend, weil es ein privater Raum im öffentlichen Raum und zugleich ein deutlich sichtbares Statussymbol ist. Ob benzinschluckender Sportwagen oder modernes Elektroauto, Baureihen mit aufsteigenden Zahlen als Typenbezeichnung unterstreichen die Hierarchie der Modelle. Fahrer sollen vergleichen und sich einsortieren: Wie weit bin ich gekommen? Wie viele Pferdestärken darf ich bändigen?

Das Auto ist daher vor allem ein emotionales Thema. Wenn die Alternativen kalte Bahnsteige, dreckige Plastiksitze, verspätete Züge und überfüllte Busse sind, wird es noch viel schwieriger, Menschen davon zu überzeugen, nicht alleine im Auto mit Sitzheizung zu fahren. Doch das größte Problem im Verkehrssektor ist der motorisierte Individualverkehr. Es habe sich bereits viel in den Köpfen der Menschen getan, betont Professorin Petra K. Schäfer von der Frankfurt University of Applied Sciences. Gerade junge Leute denken darüber nach, auf ihr Auto zu verzichten, um umweltfreundlicher unterwegs zu sein. Und es braucht solche Veränderungen, um die Klimaziele zu erreichen, "die wir uns als Gesellschaft gesteckt haben. Wir müssen beim Mobilitätsverhalten ansetzen und die Alternativen stärken", sagt Professor Kai Vöckler von der Hochschule für Gestaltung Offenbach im Video von "Hessen schafft Wissen". Die Alternativen seien "mehr zu Fuß, mehr mit dem Rad, mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mehr mit geteilten Verkehrsmitteln". Was kann dazu beitragen, dass die Gesellschaft ihr Mobilitätsverhalten dauerhaft ändert? Kann es "schön" sein, sich mit dem ÖPNV zu bewegen? Wie autofreundliche Pendler auch emotional überzeugt werden können, damit beschäftigt sich das Video, das im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur produziert wurde.

Ganz ohne Autos kommen auch moderne, nachhaltige Mobilitätskonzepte nicht aus. Eine Leitidee ist die "intermodale Mobilität": "Das heißt, auf einer Wegstrecke nutze ich unterschiedliche Mobilitätsangebote", erklärt Professor Kai Vöckler. Und wenn das Auto gewählt wird, muss es nicht immer das eigene Auto sein. Carsharing wird immer wichtiger. So kommen Autos zu einer besseren Auslastung. Carsharing-Stationen können in Hessen künftig an allen öffentlichen Straßen eingerichtet werden, gab das Hessische Wirtschaftsministerium unlängst in einer Pressemitteilung bekannt: "Wir erleichtern damit die Stationierung solcher Fahrzeuge auch in Ortszentren, wo die Stellplätze knapp sind", erläutert Verkehrsminister Tarek Al-Wazir: "Carsharing ist ein wichtiger Bestandteil eines nachhaltigen und klimafreundlichen Mobilitätssystems. Es ist ein Anreiz, aufs eigene Auto zu verzichten und Autos in Zukunft vermehrt zu teilen und nicht mehr besitzen zu müssen. Damit ist es auch ein Beitrag, den Parkdruck in den Innenstädten zu vermindern."

Solche Routinebrüche sind entscheidend für die Verkehrswende. Es müssen über Jahre eingewöhnte Mobilitätsverhalten überdacht werden. Auf dem Hessischen Innovationskongress betonte Staatsminister Al-Wazir im September 2021, dass die Richtung im Denken manchmal geändert werden muss. Innovative Köpfe kommen in der Hessen Agentur Holding zusammen, um Richtungen zu überdenken und Wege für Veränderungen zu finden. An verschiedenen Stellen wird an der "Nachhaltigen Mobilität" geforscht – ob im Fachzentrum Nachhaltige Urbane Mobilität (FZ-NUM) des Landes Hessen, das in der Hessen Trade & Invest GmbH (HTAI) beheimatet ist, oder in der LEA Hessen, die im Auftrag der Hessischen Landesregierung zentrale Aufgaben bei der Umsetzung der Energiewende und des Klimaschutzes übernimmt. Zur LEA Hessen gehört beispielsweise die Geschäftsstelle Elektromobilität.

"Nach Corona muss man nicht mehr weite Wege mit dem Auto zurücklegen, um sich einen Vortrag anzuhören."

Dr. Rainer Waldschmidt, Geschäftsführer
Dr. Rainer Waldschmidt
Geschäftsführer Hessen Agentur und Hessen Trade & Invest GmbH

Ob individueller oder öffentlicher Verkehr, ob Fuß- und Radverkehr, ob in der Großstadt oder im ländlichen Raum: Das Land Hessen unterstützt und vernetzt nachhaltige, umweltschonende Programme und Aktivitäten in sämtlichen Bereichen der Mobilität. Am 29. Oktober wird hierüber auf dem 19. Hessischen Mobilitätskongress diskutiert. Das Thema lautet: "Nach der Corona-Pandemie – Mit Rückenwind in die Mobilitätswende!" Nicht nur wegen der pandemiebedingt begrenzten Teilnehmerzahlen ist der Kongress als Hybridveranstaltung konzipiert. "Wir wollen dauerhaft mehr Hybridveranstaltungen anbieten. Auch dann, wenn sich wieder mehr Menschen treffen dürfen, darf man die Frage stellen, ob man sich ins Auto setzen und weite Wege zurücklegen muss, um sich einen Vortrag anzuhören. Klar ist, wir brauchen den direkten Austausch. Trotz aller digitaler Möglichkeiten bleibt der persönliche fachliche Austausch beispielsweise auf Messen wichtig", betont Dr. Rainer Waldschmidt, Geschäftsführer der Hessen Agentur und der Hessen Trade & Invest GmbH. Corona hat den Schub für mehr Verlagerung ins Virtuelle gegeben. Die neue individuelle Freiheit ist die Auswahl, vor Ort das Netzwerk zu stärken oder sich von zuhause zu informieren und teilzunehmen.

Mobiles Hessen 2030

Das Programm "Mobiles Hessen 2030" soll die Aktivitäten und Projekte rund um die Mobilität der Zukunft vernetzen, unterstützen und kommunizieren. Es dient als Informationsplattform für alle und zum Austausch zwischen Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Öffentlichkeit. Das Ziel ist klar – Hessen will Vorreiter der Verkehrswende werden.

Mobiles Hessen 2030

Wissenswertes zum Thema

Ein Portrait von Thorsten Schulte.

Thorsten Schulte

Thorsten Schulte arbeitete mehrere Jahre als Persönlicher Referent für die Ministerpräsidenten Roland Koch und Volker Bouffier. Zehn Jahre leitete er das Büro der Geschäftsführung und die Kommunikation der Hessen Agentur. Derzeit ist er Ministerialrat und Leiter des Referats "Kultur und Identität" in der Hessischen Staatskanzlei.