Die Brüder Carsten und Samuel Waldeck laufen einen Feldweg entlang.
© SHIFT
13.12.2024 | Technik
von Benjamin Jungbluth
Ein Portrait von Benjamin Jungbluth.

SHIFT verbindet Innovation mit Nachhaltigkeit und Gemeinwohl

Nordhessen als lebenswertes Ökosystem für Gründerinnen und Gründer

Das Start-up SHIFT ist seit mehr als zehn Jahren mit seinem in Nordhessen entwickelten Smartphone erfolgreich am Markt. Der auf Nachhaltigkeit und Gemeinwohl beruhende Ansatz der Brüder Carsten und Samuel Waldeck erstreckt sich aber nicht nur auf eine breite Palette an Hightech-Produkten, sondern auch auf die Unterstützung ihrer Heimatregion – mit eigenem Dorfladen, Biotopen und Gründer-Netzwerken.

Zum Gespräch über ihr Start-up SHIFT laden die Brüder Carsten und Samuel Waldeck in den "Gänsemarkt" ein: Das liebevoll gestaltete Dorfcafé liegt mitten im knapp 800 Einwohner zählenden Örtchen Falkenberg, das zur Gemeinde Wabern gehört. Trotz der ländlichen Idylle mit weitem Panoramablick über den Schwalm-Eder-Kreis sind die Autobahnen 7 und 49 nur rund zehn Minuten entfernt, Kassel in einer halben Stunde erreichbar. Außerdem hat Wabern den wohl kleinsten ICE-Haltepunkt Deutschlands. Über die Linie Hamburg-Karlsruhe ist die Region dadurch optimal an die großen Ballungszentren in Hessen und Deutschland angebunden. "Und trotzdem haben wir hier unsere kreative Ruhe", sagt Samuel Waldeck lächelnd, während er im "Gänsemarkt" frisch gebrühten Kaffee serviert.

Die Brüder Carsten und Samuel Waldeck stehen vor einem Haus.
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Samuel (links) und Carsten Waldeck vor dem Dorfcafé "Gänsemarkt" im Örtchen Falkenberg in Nordhessen. Das historische Fachwerkhaus haben die Brüder komplett restauriert.

Das historische Fachwerkhaus in unmittelbarer Nähe ihrer Firmenräume haben die Brüder mit viel Liebe zum Detail komplett restauriert und so vor dem endgültigen Zerfall bewahrt. Jetzt gibt es hier einen Dorfladen samt gemütlichem Café und künftig auch einem Coworking-Raum. Durch viel Engagement sowie mithilfe der LEADER-Förderung der EU und des Landes Hessen ist so ein Ort entstanden, an dem sich die Dorfgemeinschaft treffen kann. Außerdem gibt es nachhaltige und regionale Produkte des täglichen Bedarfs zu kaufen. "Bislang musste man immer ein ganzes Stück bis zum nächsten Supermarkt fahren. Jetzt können unsere Nachbarn und wir selbst viele Erledigungen zu Fuß oder mit dem Rad machen", freut sich Samuel Waldeck.

Denn die Brüder sind nicht nur in Falkenberg aufgewachsen, sondern leben hier mit ihren Familien bis heute. 2014 gründeten sie ganz in der Nähe ihres Elternhauses das Tech-Start-up SHIFT: Als Pioniere entwickelten sie das erste in Deutschland konzipierte Smartphone, das darüber hinaus noch komplett modular aufgebaut ist und möglichst nachhaltig und fair produziert wird. Ihr Shiftphone ist inzwischen in der achten Modellreihe angekommen und besteht aus 13 Modulen, die mit einem simplen Schraubendreher austauschbar sind. So können Kunden ihr Gerät bei Bedarf einfach selbst reparieren, ohne dass das komplette Smartphone gewechselt werden muss – das spart Kosten und vor allem Ressourcen. "Unser neuestes Modell ist trotz seiner innovativen Bauweise sogar wassergeschützt. Wir entwickeln unsere Produkte also kontinuierlich weiter, um noch besser zu werden", sagt Carsten Waldeck.

Ein Schild an einem Haus, das darauf hinweist, dass das Land Hessen die Errichtung eines Dorfladens mit Café gefördert hat.
© Benjamin Jungbluth

Durch viel Engagement sowie mithilfe der LEADER-Förderung der EU und des Landes Hessen ist das Dorfcafé "Gänsemarkt" entstanden – ein Ort, an dem sich die Dorfgemeinschaft treffen kann.

Nach mehr als zehn erfolgreichen Jahren am Markt bietet die nordhessische Firma aber nicht nur Smartphones, sondern eine breite Palette an Hightech-Produkten an: Over-Ear-Kopfhörer, Speaker, Tablets, Monitore mit Touchfunktion und dazu immer ein umfangreiches Zubehör. Alles ist modular reparierbar, im schicken Design der eigenen Marke gehalten und wird in Nordhessen entwickelt. Die Produktion findet aus Wettbewerbsgründen zwar in China statt, doch auch hier setzen die Brüder auf Transparenz und Nachhaltigkeit. Der größte Teil der Arbeit wird dort von ihrer selbstgegründeten Produktionsfirma übernommen, bei der sie auf faire Bezahlung und Arbeitsbedingungen achten. Neben den zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in China sind in Nordhessen noch einmal 22 Angestellte damit beschäftigt, neue Modelle zu entwerfen sowie die Auslieferung und den Support der Produkte sicherzustellen. Hinzu kommen rund 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die deutschlandweit arbeiten.

"Bei der Entwicklung unserer Konzepte und Ansätze kooperieren wir eng mit Universitäten, Institutionen und anderen Forschungseinrichtungen. Dabei geht es um konkrete Produktentwicklungen, aber auch um Zukunftsfelder wie Universal Computing, was uns ein ganz besonderes Herzensanliegen ist", erzählt Carsten Waldeck mit leuchtenden Augen. "Mit der Uni Kassel haben wir zum Beispiel unser Konzept für ein vollständig kreislaufwirtschaftsfähiges Smartphone entwickelt. Außerdem ist für uns der enge Austausch mit anderen Gründern enorm wichtig, weshalb wir uns in vielen Branchennetzwerken engagieren."

Ein Bild des Smartphones von SHIFT.
© SHIFT GmbH

Das SHIFTphone 8, das achte Modell von SHIFT.

Dabei greifen die beiden innovativen Brüder gerne auf die Ressourcen ihrer nordhessischen Heimat zurück. Beim Netzwerk "Die HOMEberger" setzen sie auf den Austausch mit anderen nachhaltigen Start-ups aus den unterschiedlichsten Branchen, die alle aus der Region rund um die Stadt Homberg kommen. Im IT-Netzwerk Nordhessen geht es hingegen mehr um die fachspezifische Unterstützung Gleichgesinnter. Und ihr Engagement beim Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland zeugt von der inhaltlichen Ausrichtung ihres Unternehmertums: Sinnmaximierung statt Gewinnmaximierung. Denn die beiden Brüder wollen von ihrem Tun selbst überzeugt sein – und gehen dafür immer wieder neue Wege.

"Gemeinsam mit dem Start-up VELECT Bicycles haben wir ein besonderes E-Bike herausgebracht, das höchsten sportlichen Ansprüchen genügt und gleichzeitig sehr nachhaltig ist. Trotz des für uns neuen Geschäftsfeldes gibt es viele Gemeinsamkeiten: Die Gründer von VELECT leben ganz bewusst im ländlichen Raum zwischen Gießen und Fulda, teilen unsere unternehmerischen Überzeugungen und haben uns mit ihrem Konzept schnell überzeugt – schließlich fahren wir selbst sehr gerne mit unseren E-Bikes durch die Natur", erzählt Samuel Waldeck.

Eine Frau von hinten, sie trägt Kopfhörer von SHIFT.
© SHIFT GmbH

Die nordhessische Firma bietet nicht nur Smartphones, sondern eine breite Palette an Hightech-Produkten an, etwa den "SHIFTsound BNO" – ein modularer, reparierbarer Over-Ear-Kopfhörer.

Ihr besonderer Ansatz hat den Waldeck-Brüdern dabei schon viel öffentliche Aufmerksamkeit eingebracht. Durch mehrere Auftritte beim Kreativwirtschaftstag und beim Hessischen Innovationskongress konnten sie ihr Netzwerk und ihre Bekanntheit erweitern. 2018 erhielten sie außerdem den Hessischen Gründerpreis, in dessen Jury sie inzwischen sitzen. "Das ist eine tolle Gelegenheit, mit der hessischen Gründerszene auch abseits der eigenen Branche in Kontakt zu kommen und neue Ansätze kennenzulernen. Und natürlich können wir so selbst Innovationen an andere weitergeben", sagt Samuel Waldeck.

Für Anja Gauler, Abteilungsleiterin Wirtschaftsforschung und Landesentwicklung bei der HA Hessen Agentur GmbH, sind die beiden nordhessischen Gründer damit ein tolles Beispiel für das Potenzial dieser Region: "Wir haben in Nordhessen eine sehr aktive Start-up-Szene, die ihre Vorteile voll ausspielt: Hier entstehen im ländlichen Raum kreative und innovative neue Ansätze, die durch eine enge Vernetzung und einen intensiven Austausch gepusht werden. Mit den Zentren Kassel und Marburg sowie der schnellen Anbindung an Mittelhessen und die Region Frankfurt Rhein-Main gibt es außerdem Anschluss an renommierte Universitäten und Forschungseinrichtungen sowie an das große unternehmerische Potenzial im Land. Diesen Austausch unterstützen wir im Auftrag des Hessischen Wirtschaftsministeriums gerne mit unseren Veranstaltungsformaten", betont Anja Gauler.   

Die Brüder Carsten und Samuel Waldeck stehen vor einem Baum.
© SHIFT GmbH

Samuel (links) und Carsten Waldeck.

So konnte Carsten Waldeck beim von der Geschäftsstelle Kreativwirtschaft der HA Hessen Agentur GmbH veranstalteten Kreativwirtschaftstag 2024 vor den rund 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Frankfurt die Hintergründe des besonderen Unternehmertums der beiden Brüder vorstellen. Als Vertreter des sinnstiftenden Purpose-Ansatzes legen sie viel Wert auf das Gemeinwohl. Dieses bewusst in der Unternehmensstruktur einzubauen, ist aus ihrer Sicht ein innovativer Ansatz für Start-ups, der Gründerinnen und Gründern außerdem rein unternehmerische Vorteile bietet. "Der rechtliche Begriff des Verantwortungseigentums existiert zwar in Deutschland noch nicht, weshalb es derzeit nur Hilfskonstruktionen gibt. Dennoch sind Start-ups dadurch weniger abhängig von Investoren, dank eines natürlichen Wachstums sehr resilient und die Nachfolgefrage muss einem auch keine Sorgen mehr bereiten. Wir stellen dieses Konzept deshalb in unseren Netzwerken gerne vor – und in der Region Fulda gibt es sogar besonders aktive Vertreter. Nord- und Mittelhessen sind bei dem Thema stark vertreten", freut sich Carsten Waldeck.

Das Start-up SHIFT ist seit über zehn Jahren mit seinem in Nordhessen entwickelten Smartphone erfolgreich am Markt.
© Benjamin Jungbluth

Das historische Fachwerkhaus, in dem das Dorfcafé "Gänsemarkt" und der Dorfladen zu finden sind, liegt in unmittelbarer Nähe der SHIFT-Firmenräume.

Doch auch ganz abseits ihres Unternehmertums sind die beiden gemeinwohlorientiert unterwegs. Als vor einigen Jahren der nur wenige Kilometer entfernte Singliser See kommerziell umgenutzt zu werden drohte, schlossen sich Carsten und Samuel Waldeck kurzerhand mit örtlichen Landwirten und anderen engagierten Bürgerinnen und Bürgern zu einer Bietergemeinschaft zusammen. So konnten einerseits die Felder für regional erzeugte Lebensmittel erhalten bleiben, andererseits viel für den Naturschutz und die Naherholung getan werden. "Unserem Start-up SHIFT gehören jetzt also knapp zehn Hektar Land, auf dem wir Biotope anlegen und mittlerweile über 300 Tier- und Pflanzenarten zählen konnten. Nebenan können die Menschen der Region den See weiterhin zum Baden nutzen und dank der großen Flächen haben wir sogar die Möglichkeit, hier bald ein Nachhaltigkeitsfestival samt SHIFT-Jubiläumsfeier zu veranstalten", zählt Carsten Waldeck auf.

Und sein Bruder Samuel Waldeck, der zugleich ehrenamtlicher Ortsvorsteher von Falkenberg ist, betont den großen Mehrwert für die Gemeinschaft: "Mit unserem Unternehmertum und unseren vielen Aktivitäten wollen wir keinen Gewinn maximieren, sondern unsere Region voranbringen. Den Erfolg spüren wir deutlich: Durch die vielen Angebote ist unser Kreis für Familien sehr attraktiv, gerade auch unser Heimatdorf Falkenberg. Von den rund 800 Einwohnern sind inzwischen etwa 150 Kinder. Nordhessen ist einfach ein toller Ort zum Leben und Arbeiten, der durch das ausgeprägte Miteinander seine Stärken voll ausspielen kann."

Ein Portrait von Benjamin Jungbluth.

Benjamin Jungbluth

Freier Journalist
Aufgewachsen am südlichsten Ende von Hessen. Nach dem Studium in Heidelberg Volontär und Redakteur bei regionalen Tageszeitungen. Seit 2017 als Freier Journalist vor allem für lokale Geschichten und Reportagen in den Regionen Rhein-Main und Rhein-Neckar unterwegs.