Digitalisierung schafft neue Rahmenbedingungen in der Branche

Die Tourismusbranche ist im Umbruch, vor allem die Digitalisierung hat neue Rahmenbedingungen geschaffen. Mit dem Strategischen Marketingplan „Tourismus 4.0“ möchte die Landesmarketing- und Management-Organisation Hessen Tourismus die Chancen der Digitalisierung nutzen und so die Tourismuswirtschaft in Hessen für die Zukunft wappnen.  

Auf dem großen Bildschirm erscheinen bunte Grafiken und Zahlen. Laura Sandmaier klickt durch die Präsentation. Währenddessen fallen immer wieder die Worte „Sinus-Milieu“, „Zielgruppen“ und „Best-of-Angebote“. Die junge Frau arbeitet erst seit einigen Monaten bei Hessen Tourismus mit Sitz inmitten von Wiesbaden. Seitdem versucht sie, das Reiseverhalten von Menschen zu verstehen, die nach Hessen kommen, um dort Urlaub zu machen. „Unsere Gäste sind Genussmenschen und vielseitig interessiert. Sie suchen die Inspiration und Vielfalt in den Städten, aber auch die Ruhe und Erholung in der Natur. Kulinarik und Nachhaltigkeit spielen für sie eine große Rolle, weshalb regionale sowie saisonale Produkte aus Hessen bevorzugt werden.“ So fasst Laura Sandmaier die „typisch hessischen“ Gäste zusammen.  

Laura Sandmaier ist Zielgruppen-Managerin; heute stellt sie, gemeinsam mit Herbert Lang (Leiter Hessen Tourismus) einen neuen Leitfaden vor. Er soll der Branche und dem Content-Team als Arbeitsgrundlage dienen. Das achtköpfige Kreativ-Team wohnt der Konferenz virtuell bei. Seine Mitglieder tüfteln an neuen, digitalen Formaten, die über YouTube, Social Media und anderen digitalen Kanälen ausgespielt werden. „Die Digitalisierung hat die Kommunikationsstrukturen grundlegend verändert“, erklärt Herbert Lang. „Um unsere Gäste auch in Zukunft zu erreichen, setzen wir vermehrt auf digitale Inhalte.“

Hybride Arbeitsweisen wie digitale Konferenzen und mobiles Arbeiten, digitaler Content und das Zielgruppen-Management – sie sind Teil einer großen Umstrukturierung, die vor zwei Jahren begonnen und innerhalb der Landesorganisation einiges auf den Kopf gestellt hat. „Wir haben schon viel geschafft, befinden uns aber immer noch mitten in einem Prozess“, erzählt Herbert Lang voller Elan. Strategischer Marketingplan Tourismus 4.0 heißt das großangelegte Projekt, das vom Land Hessen unterstützt wird und ein konkretes Ziel vor Augen hat: Den Tourismus in Hessen zu einem führenden Wirtschafts- und Standortfaktor zu entwickeln und somit die Wertschöpfung im Land zu steigern. 

Und noch mehr soll der Marketingplan auf den Weg bringen: Hessen Tourismus soll zu einem digitalen Kompetenzzentrum für die hessische Tourismuswirtschaft werden. Dafür wurden Spezialisten eingestellt, darunter ein Wissenskurator und ein Datenmanager für Marktforschung und Analyse. Außerdem wurden neue Ressourcen bereitgestellt. Herbert Lang: „Mit neuen digitalen Tools – wie dem Tourismus-Hub Hessen und einer Business-Intelligence-Lösung – wollen wir verlässliche Daten generieren und so die Strukturen der sich stets verändernden Marktsituation verstehen.“ Tourismus-Hub Hessen und Business-Intelligence – mithilfe dieser Bausteine zum systematischen Wissenstransfer soll die digitale Transformation in der Abteilung Hessen Tourismus künftig weiter vorangetrieben werden.

Keine kleine Aufgabe, denn als digitales Kompetenzzentrum hat Hessen Tourismus den Auftrag, die Tourismusbranche im Land flächendeckend zu unterstützen. „Das gebündelte Wissen aus der Marktforschung wollen wir an unsere Partnerinnen und Partner im Land weitergeben“, erklärt Sebastian Gleichsner. Damit bezieht er sich auf alle Akteurinnen und Akteure, die im Tourismus in Hessen tätig sind, „von Hofläden und Spitzenrestaurants über Hotels bis zur städtischen und regionalen Marketingorganisation“. Auch die hessischen Naturlandschaften, Heilbäder und Kurorte zählt er dazu. Sebastian Gleichsner ist Teil des Entwicklungs-Teams, das im Zuge des neuen Strategieplans der Marketingabteilung zugeteilt wurde. „Gemeinsam wollen wir ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Hessen ein attraktives Reiseland ist. Nicht nur bei potenziellen Gästen, sondern auch innerhalb der Tourismusbranche.“

In Hessen ist Tourismus ein Wachstumssektor. Mehr als 35 Millionen Übernachtungen erzielte das Bundesland vor der Corona-Pandemie im Jahr 2019. Durch die Krise verzeichnete Hessen in dieser Statistik zwar einen Rückgang von fast 50 Prozent, seit April 2021 zeichnet sich aber wieder ein deutlicher Anstieg und eine positive Entwicklung der Übernachtungszahlen ab. Ein Großteil der Übernachtungen entfällt auf die Metropolregion rund um Frankfurt. Dabei sind – auch das hat das Zielgruppen-Management belegt – viele der Gäste auf der Suche nach Ruhe und Freizeitmöglichkeiten in der Natur. Und davon hat Hessen reichlich! Naturlandschaften machen über ein Drittel der Fläche Hessens aus, in keinem anderen Bundesland gibt es so viel Wald wie hier. „Gerade in unseren ländlichen Regionen gibt es wahnsinnig viel Potenzial, das besser genutzt werden kann“, sagt Sebastian Gleichsner, während er auf eine Statistik schaut, die er auf seinem Rechner geöffnet hat. „Wichtig ist deswegen, dass wir auch die Partner mit ins Boot holen, die touristisch viel zu bieten haben, im Vergleich zu urbanen Regionen aber noch schwach abschneiden.“

Auf Sebastian Gleichsners Rechner erscheinen erst Bilder von einem Familienurlaub auf dem Bauernhof, dann von einem Weinverkostung in lockerer Atmosphäre. Es sind Beispiele von Best-of-Angeboten, auch sie sind eine Komponente des neuen Marketingplans. Dabei handelt es sich um qualitativ hochwertige Produkte, die direkt buchbar sind. Außerdem müssen sie zur Marke passen, also beispielsweise mit den Nachhaltigkeitswerten von Hessen Tourismus übereinstimmen. Gleichsner: „Diese Best-of-Angebote stellen wir dann in unser Schaufenster.“ So wird das digitale Marketing genannt, das Hessen Tourismus nach außen betreibt. „Indem wir gemeinsam mit unseren Partnern Best-of-Angebote identifizieren und vermarkten, betreiben wir Marketing aus einem Guss“, erklärt auch Claudia Braun, eine der treibenden Kräfte hinter der Marketing-Kampagne. Auch sie verstärkt erst seit Kurzem das Mitarbeiter-Team von Hessen Tourismus. „Gleichzeitig sorgen wir dafür, dass alle Partner im Land präsent sind“, fügt Sebastian Gleichsner hinzu. Eine Win-Win-Situation, „auch für unsere Gäste, die sich auf Qualität in ihrem Urlaub verlassen können“.

Qualität – mit diesem fast philosophischen Begriff hat sich Sebastian Gleichsner eingehend beschäftigt. Neben harten Qualitätsmerkmalen wie dem Sterne-Ranking für Hotels zählen auch weiche Kriterien – also solche, die weniger leicht messbar, laut Sebastian Gleichsner aber mindestens genauso wichtig sind. Ihm zufolge sind es gerade die weichen Qualitätsmerkmale – ein herzliches Gespräch mit Gastgeberinnen und Gastgebern, eine Übernachtung in familiengeführten Hotels, ein Essen mit typisch hessischen Produkten – die darüber entscheiden, welches Gefühl beim Gast zurückbleibt. „Sie sorgen dafür, dass sich unsere Gäste wie Einheimische auf Zeit fühlen.“

Typisch hessisch  – so heißt auch die neue Leitkampagne, an der gerade mit vereinten Kräften gearbeitet wird. Gab es vor dem neuen Strategischen Marketingplan viele Einzelmaßnahmen zur Bewerbung des Tourismus in Hessen, soll das Marketing in Zukunft einheitlicher werden. „Wir wollen ein stimmiges, wiedererkennbares Image von Hessen schaffen und das nach außen und nach innen kommunizieren“, erklärt Claudia Braun. Gemeinsam mit seinen touristischen Partnern möchte Hessen Tourismus eine touristische Markenfamilie aufbauen – und legt damit einen ziemlichen Spagat hin. Claudia Braun: „Während wir die Stärken aller touristischen Akteurinnen und Akteure in einer Markenfamilie bündeln, soll der individuelle Charakter der einzelnen Destinationen erhalten bleiben.“

Aber was ist denn eigentlich typisch hessisch? Darauf gibt Hessen Tourismus eine klare Antwort: Hessisch ist ein Synonym für urban und ländlich. Hessen, das ist „unberührte Natur, märchenhafte Kleinstädte und urbaner Freiraum, wie er beispielsweise in Kassel gelebt wird“, sagt Laura Sandmaier, die auch als Einheimische nicht müde geworden ist, ihr Heimatland zu bereisen.

Nach der Konferenz bleibt eine Handvoll Mitarbeiter um den runden Konferenztisch sitzen, sie brainstormen noch ein bisschen weiter. Auch auf dem breiten Gang, der die offenen Arbeitsräume miteinander verbindet, begegnen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Hessen Tourismus in entspannter Atmosphäre. Kreativ, aufgeschlossen und innovativ – eben auch das ist: Typisch hessisch.